Die Rückkehr der Inflation

Shownotes

Inflation, das meint wörtlich: Ausweitung, Aufblähung der Geldmenge. Und es bedeutet faktisch: weniger Kaufkraft für jene, die das Geld benutzen – also für uns alle.

Kommt die heftige Inflation zurück, in der Welt, in Europa, in der Schweiz? Wen trifft sie – und wer profitiert?

Wir fragen Ernst Baltensperger, Doyen der Schweizer Geldpolitik.

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00:00:09: Ist die Inflation gekommen, um zu bleiben?

00:00:12: Oder wird sie bald wieder vorübergehen?

00:00:15: Die Frage hat Gewicht, sie betrifft, ja sie trifft uns alle.

00:00:20: Ökonomen beurteilen die Lage unterschiedlich.

00:00:23: Dabei ist klar: niemand kennt die Zukunft.

00:00:26: Und die Vergangenheit wiederholt sich nicht.

00:00:29: Aber man kann von ihr lernen.

00:00:32: Kaum jemand kennt die Geschichte von Geld und Inflation so gut wie Ernst Baltensperger, Doyen der Schweizer Geldpolitik.

00:00:40: Ernst Baltensperger ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern.

00:00:47: Aufgrund seiner Beiträge zu Geldtheorie und Geldpolitik geniesst er in der internationalen wissenschaftlichen Community

00:00:55: seit Jahrzehnten hohes Ansehen.

00:00:58: Zudem war Ernst Baltensperger für viele Jahre externer Berater der Schweizerischen Nationalbank

00:01:04: und Doktorvater von Thomas Jordan, dem amtierenden Präsidenten der SNB.

00:01:10: Mit seinen Analysen, Studien und Konzepten hat Ernst Baltensperger

00:01:15: den Kurs der schweizerischen Geldpolitik wesentlich mitgeprägt.

00:01:19: Höchste Zeit also für Prof. Dr. Christoph Schaltegger,

00:01:24: Direktor des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern,

00:01:29: mit Ernst Baltensperger zu reden.

00:01:33: Ernst, wir wollen uns heute dem Thema Inflation annehmen.

00:01:37: Inflation ist ein Begriff, der derzeit in aller Munde ist.

00:01:42: Gelegentlich macht es Sinn, bevor man in die Analyse geht,

00:01:45: dass man den Begriff zuerst definiert. Ernst, um was geht es bei der Inflation?

00:01:51: Direkt übersetzt geht es ja da um aufblasen, aufblähen.

00:01:55: Was verstehen Ökonomen darunter?

00:01:58: Wir meinen damit einen allgemeinen Anstieg

00:02:02: aller Güter- und Dienstleistungspreise. So, dass diese im Durchschnitt steigen.

00:02:09: Natürlich können wir dabei verschiedene Warenkörbe im Auge haben.

00:02:12: Normalerweise denken wir an die Konsumgüter, an die Konsumenten Preise.

00:02:20: Wir sprechen von einem Inflationsprozess

00:02:24: wenn dieser Anstieg sich Jahr für Jahr wiederholt.

00:02:28: Inflationsprozesse haben häufig die Tendenz,

00:02:32: sich über die Zeit zu verstärken, wenn man sie nicht bewusst bremst.

00:02:37: Zwei weitere Begriffe, die

00:02:40: wir zum Verständnis mitnehmen müssen, ist expansive versus

00:02:45: restriktive Geldpolitik. Was muss ich mir darunter vorstellen?

00:02:50: Einfach ausgedrückt bedeutet eine expansive Geldpolitik

00:02:55: eine Geldpolitik,

00:02:58: die das Geldmengenwachstum

00:03:04: erhöht oder

00:03:06: - und das ist letztlich gleichbedeutend - die Zinssätze senkt.

00:03:10: Denn Zinsniveau und Geldmenge, die hängen ja miteinander zusammen.

00:03:17: Eine restriktive Geldpolitik ist das Umgekehrte.

00:03:22: Sie besteht darin, dass die Zinssätze von der Zentralbank erhöht werden

00:03:28: oder dass sie den Bestand an Geld,

00:03:32: der sich in der Volkswirtschaft befindet, vermindert.

00:03:38: Wie schaffen eigentlich Zentralbanken überhaupt Geld?

00:03:43: Zentralbanken schaffen Geld, indem sie

00:03:47: Wertpapiere oder im Grunde genommen

00:03:50: irgendetwas kaufen.

00:03:54: Von den Wirtschaftsteilnehmern, von den Banken in der Regel,

00:03:59: sie übernehmen ein Wertpapier

00:04:02: und bezahlen dafür

00:04:06: denjenigen, der dieses Wertpapier bisher in Besitz gehabt hat,

00:04:10: mit neu geschaffenen Geld.

00:04:13: Konkret heisst das in der Regel eine Gutschrift auf dem Konto

00:04:18: der betreffenden Bank, bei der Nationalbank.

00:04:22: Prima, danke!

00:04:23: Mit diesem Rucksack gehen wir jetzt in die Analyse

00:04:26: und stellen uns zunächst einmal die Frage: Wie entsteht eigentlich Inflation?

00:04:32: Da hat es verschiedene Player, die eine Rolle spielen könnten.

00:04:36: Zunächst einmal natürlich die Zentralbanken,

00:04:38: die die Geldpolitik treiben.

00:04:40: Sind das die Inflationstreiber?

00:04:42: Oder sind es die Ungleichgewichte in der Realwirtschaft?

00:04:48: Was sind da Anstosseffekte und Übertragungseffekte?

00:04:53: Ja, es braucht beides.

00:04:55: Das hängt auch zusammen.

00:04:57: Zu Preiserhöhungen kann man ganz einfach sagen:

00:05:00: Die treten ein, wenn am Markt Nachfrageüberhang besteht.

00:05:05: Ein allgemeiner Preisanstieg,

00:05:09: also so, dass

00:05:10: die Preise im Durchschnitt für alle Güter steigen,

00:05:15: setzt voraus, dass am Markt ein allgemeiner Nachfrageüberhang da ist.

00:05:21: Nun, das kann realwirtschaftliche Ursachen haben.

00:05:26: Aber ein dauerhafter Inflationsprozess kann daraus nur werden,

00:05:30: wenn eine expansive, eine zu expansive, Geldpolitik

00:05:34: diesen Prozess alimentiert, wenn sie ihn nährt und so am Leben hält.

00:05:41: Es braucht beides.

00:05:43: Es braucht realwirtschaftliche Ungleichgewichte,

00:05:47: um einen Inflationsprozess in Gang zu bringen.

00:05:51: Aber es braucht eben auch die Geldpolitik der Zentralbanken, die durch monetäre

00:05:56: Expansion das überhaupt ermöglichen und am Leben erhalten.

00:06:03: Gut, jetzt haben wir das quasi definiert,

00:06:06: stellen wir uns wie üblich als Ökonomen auch die Frage:

00:06:11: Wer profitiert eigentlich davon und wer trägt einen Schaden davon?

00:06:18: Von der Inflation profitieren zunächst einmal die Schuldner.

00:06:22: Ihre reale, in Kaufkraft gemessene Schuld, die vermindert sich,

00:06:28: jedenfalls solange der Zins

00:06:31: sich nicht an die Inflationsrate angepasst hat.

00:06:35: Zu den Profiteuren gehört daher nicht zuletzt der Staat.

00:06:39: Der ist ja in fast allen Ländern der grösste Schuldner überhaupt.

00:06:44: Dann das Umgekehrte: Das gilt für die Gläubiger,

00:06:48: die leiden an der Inflation.

00:06:51: Ihre Guthaben, ihr Anspruch,

00:06:56: den sie einem Schuldner gegenüber haben, der vermindert sich

00:07:00: durch die Inflation wieder,

00:07:02: solange die Verzinsung nicht an die Inflation angepasst ist.

00:07:09: Am meisten leiden darunter die kleinen Sparer,

00:07:12: die ihre Guthaben, ihre Vermögen, in der Regel

00:07:16: in blossem Geld oder in wenig ertragreichen Spareinlagen halten.

00:07:22: Sie sind besonders geschädigt durch die Inflation.

00:07:25: Sie können sich am wenigsten gegen diese schützen.

00:07:31: Aber Inflation ist praktisch immer auch mit Unsicherheit

00:07:35: über die Zukunft einer Wirtschaft verbunden.

00:07:39: Mit Störungen des Preissystems

00:07:42: und mit willkürlicher Umverteilung von Einkommen und Vermögen.

00:07:48: Im schlimmsten Fall kann die Inflation die Wirtschaft und Gesellschaft

00:07:51: eines Landes völlig zerrütten

00:07:54: und eine zerstörerische Politik bewirken.

00:08:01: Das hört sich zunächst einmal noch recht theoretisch an.

00:08:06: Es kann eine zerstörerische Kraft entwickeln für Wirtschaft und Gesellschaft.

00:08:11: Es gibt ein Beispiel in der Geschichte: Die Hyperinflation in Deutschland

00:08:15: 1923, wo man das quasi am

00:08:20: realen Beispiel erleben konnte.

00:08:24: Was war damals geschehen?

00:08:26: Ja, das ist natürlich das Paradebeispiel für eine

00:08:31: so extreme Situation.

00:08:35: Das war kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

00:08:38: Deutschland hat sehr grosse Kriegsschulden gegenüber den Alliierten,

00:08:43: die sie im Grunde genommen

00:08:45: fast nicht zurückzahlen konnten, praktisch nicht zurückzahlen konnten.

00:08:49: Der Staat hat damit eine dauernde defizitäre Situation gehabt

00:08:55: und man hat versucht das durch die Geldpresse zu finanzieren.

00:09:01: Also die Notenbank hat eigentlich die Defizite des Staates finanziert

00:09:06: und das hat eben zu einem Inflationsprozess geführt.

00:09:11: Was bewirkt hat, dass die Güterpreise gestiegen sind

00:09:14: und je mehr dies der Fall war, desto mehr musste der Staat um ein

00:09:19: bestimmtes Defizit finanzieren zu können, die Geldmenge vermehren,

00:09:25: das Geldmengenwachstum erhöhen.

00:09:28: Das hat zu einer Beschleunigung dieses Prozesses geführt,

00:09:32: zu ganz extremen Verhältnissen, wie wir sie uns gar nicht

00:09:36: mehr vorstellen können.

00:09:37: In anderen Ländern und Erdteilen

00:09:41: hat es das auch in der jüngeren Vergangenheit noch gegeben,

00:09:45: aber damals in Deutschland, im Extrem an der Spitze,

00:09:51: das war dann 1923. Da war eine deutsche Mark,

00:09:57:

00:09:57: nur noch 4 Trillionen.

00:10:01: Entschuldigung, es ist umgekehrt.

00:10:03: Da war ein Dollar nur noch 4 Trillionen Mark wert.

00:10:06: Also das ist eine 4 mit zwölf Nullen dran.

00:10:10: Das heisst mit anderen Worten, die Mark war praktisch nichts mehr wert.

00:10:14: Die Währung war bankrott.

00:10:18: Und das hat natürlich das Vertrauen

00:10:22: in das Geld, in die monetären Institutionen, aber überhaupt

00:10:26: in die Institutionen des Staates vollkommen zerrüttet.

00:10:29: Es hat auch ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die Weimarer Republik

00:10:35: beschädigt wurde. Was daraus

00:10:39: ein Jahrzehnt nachher entstanden ist, das wissen wir ja.

00:10:44: Ja, du hast das sehr eindrücklich geschildert, was geschehen kann

00:10:49: und was bereits geschehen ist.

00:10:51: Jetzt blenden wir

00:10:52: die Geschichte wieder aus und wollen uns in die Aktualität bewegen.

00:10:57: Auch in der aktuellen Situation sind die Preise nicht stabil, sondern wir

00:11:02: sehen teilweise starke Preissteigerungen, insbesondere bei den Rohstoffen.

00:11:09: Was ist deine Beurteilung?

00:11:10: Ist das jetzt ein temporärer Preisanstieg?

00:11:15: Vielleicht geschuldet den Lieferketten,

00:11:19: Engpässen, die in der globalen Wirtschaft im Moment bestehen?

00:11:24: Oder ist hier vielleicht trotzdem mehr in Gang, dass sich

00:11:28: aus diesen Anstosseffekten, dann auch Übertragungen

00:11:32: in einen inflationären Prozess ergeben könnten?

00:11:36: Ja, wir sehen aktuell verschiedene Einflüsse die preistreibend wirken.

00:11:40: Du hast sie schon teilweise genannt,

00:11:43: sie werden in den Medien auch häufig diskutiert.

00:11:46: Also zunächst einmal vielleicht das am meisten Diskutierte:

00:11:51: Öl- und Energie-Preiserhöhungen, die sind stark gestiegen,

00:11:56: die Öl und Energiepreise.

00:12:00: Dann Probleme mit den Lieferketten,

00:12:04: dann auch ein Mangel an Fachkräften in verschiedenen Bereichen.

00:12:10: Auch ein Rückbau von dem, was man Just-in-time-Produktion

00:12:16: und Outsourcing in der Produktion nennt, dass man auf möglichst kurze Lieferketten

00:12:22: mit wenig Reserven zurückgreift. Weil man meint,

00:12:26: dass das die Wirtschaft effizient macht.

00:12:29: Das hat sich als gefährlich erwiesen.

00:12:31: Und dann schliesslich ein weiterer Effekt, vielleicht sogar der Wichtigste:

00:12:38: Eine immense fiskalische Expansion

00:12:41: in vielen Staaten, in den USA, aber auch in Europa.

00:12:47: Diese Einflüsse sind von den Zentralbanken

00:12:50: in den letzten Jahren immer wieder unterschätzt worden.

00:12:53: Sie sind von ihnen auch etwas heruntergespielt worden.

00:12:56: Das ist gefährlich für die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken.

00:13:01: Aber man muss trotzdem sagen:

00:13:04: Im Grunde stimmt es natürlich.

00:13:08: Diese Faktoren erklären im Grunde nur einmal Effekte auf das Preisniveau,

00:13:14: nicht aber eine dauerhafte Erhöhung von dessen Zuwachsrate der Inflation.

00:13:21: Also auf die Inflation wirken sie nur

00:13:24: temporär, das betonen die Zentralbanken und viele andere ja auch immer.

00:13:28: Und das stimmt grundsätzlich.

00:13:32: Diese Faktoren sind relevant für die kurz- und mittelfristige Dynamik der Inflation.

00:13:37: Sie können sich - und das ist dann schon gefährlich -

00:13:40: sie können sich bei passenden Bedingungen auch auf die Lohnfindung auswirken.

00:13:46: Sie können die Inflationserwartungen beeinflussen.

00:13:50: Aber:

00:13:53: Trotzdem, ich würde sagen, für die langfristige Inflationsgefahr

00:13:57: ist für mich etwas anderes entscheidend, nicht diese Faktoren.

00:14:01: Vielen Dank, lass uns das gleich noch ein bisschen vertiefen.

00:14:04: Was sind denn die langfristigen Inflationstreiber

00:14:09: aus deiner Sicht, bzw. aus deiner langjährigen Erfahrung,

00:14:14: die du durch das Studium von Inflationsprozessen gewonnen hast?

00:14:19: Also das entscheidende für mich, das ist die Geldpolitik.

00:14:22: Entscheidend ist die Tatsache,

00:14:25: dass wir heute auf ein Jahrzehnt zurückblicken, in dem man glaubte,

00:14:30: Geldpolitik, eine sehr expansive Geldpolitik,

00:14:35: betreiben zu können, ohne Rücksicht auf die Gefahr zukünftiger Inflation.

00:14:41: Im Übrigen genau wie in den 1970er Jahren,

00:14:44: da besteht aus meiner Sicht schon eine Parallele.

00:14:47: Das war auch damals so. Die Zentralbanken haben zehn Jahre lang

00:14:52: eine extrem expansive Geldpolitik betrieben,

00:14:56: eine Politik, die mit Preisstabilität auf Dauer nicht kompatibel ist.

00:15:01: Und sie haben damit ein Umfeld geschaffen, das für die Entstehung einer

00:15:05: Inflationsspirale ideal ist.

00:15:08: Lassen Sie mich noch kurz etwas genauer sagen, warum das so ist.

00:15:13: Die Zentralbanken haben die Welt in enormem Ausmass

00:15:17: mit Liquidität geschwemmt,

00:15:19: also mit von ihnen geschaffenem Geld, mit Zentralbankgeld.

00:15:23: Und diese Liquidität, die ist bis jetzt kaum in die Realwirtschaft geflossen,

00:15:28: also in Konsum und Investitionen.

00:15:32: Höchstens in die Märkte für bestehende Vermögensobjekte -

00:15:35: wie Immobilien oder Aktien - haben dort die Preise hochgetrieben,

00:15:40: das kennen wir ja.

00:15:43: Aber diese Liquidität, also dieses Zentralbankgeld,

00:15:46: das wird heute zum grossen Teil noch von den Banken und auch gewissen

00:15:51: anderen Akteuren, aber vor allem von den Banken als Reserven,

00:15:56: als Liquiditätsreserven gehalten.

00:16:00: Die Zentralbankgeldreserven

00:16:04: der Banken bewegen sich heute -

00:16:07: das gilt für die USA genauso wie für Europa - auf unglaublicher Höhe.

00:16:12: Sie sind um ein Vielfaches höher, als das früher der Fall gewesen ist.

00:16:18: Und hier liegt das Problem.

00:16:20: Solange diese Reserven

00:16:24: im Bankensystem sitzen bleiben und nicht in die Märkte für Konsumgüter

00:16:29: und Investitionen fliessen, entsteht keine Inflation daraus.

00:16:34: Aber wenn das einmal nicht mehr so ist - und es ist

00:16:37: schlicht und einfach naiv, davon auszugehen, dass das immer so bleiben wird.

00:16:41: Das wird nicht so sein.

00:16:43: Wenn das einmal nicht mehr so ist, dann wird es

00:16:47: für die Zentralbanken sehr ungemütlich.

00:16:50: Sie müssen dann dieses Zentralbankgeld wieder aus dem Markt herausnehmen

00:16:56: oder sie müssten es immobilisieren. Also dafür sorgen,

00:17:00: dass die Banken das weiterhin freiwillig halten.

00:17:05: Aber das geht nur mit einer Zinserhöhung.

00:17:07: Das geht nur mit Zinserhöhungen.

00:17:10: Und der politische Widerstand gegen Zinserhöhungen,

00:17:13: der wird immens sein angesichts der heutigen riesigen Verschuldung der Staaten

00:17:17: und auch der Privaten.

00:17:20: Es ist

00:17:22: aus meiner Sicht vorprogrammiert, dass die Zentralbanken in dieser Situation

00:17:27: zu spät und zu zaghaft handeln werden.

00:17:31: Es wird wie in den 1970er Jahren

00:17:34: zu einem Hin und Her Prozess, zu einem Stop and Go kommen.

00:17:38: Die Zentralbanken werden sagen: Wir werden jetzt bremsen.

00:17:44: Und dann tun sie das.

00:17:46: Aber sobald dann negative Auswirkungen auf die

00:17:49: auf die Realwirtschaft sichtbar werden - und die wird es geben -

00:17:54: dann wird es Kritik hageln und dann werden sie wieder zurückkrebsen

00:17:59: und dann etwas später werden sie wieder einen neuen Anlauf nehmen.

00:18:04: Und so wird die Inflation hochgeschaukelt werden. So war es jedenfalls in den 1970er Jahren.

00:18:10: Und das erwarte ich auch jetzt wieder.

00:18:14: Das wird dann gehen, bis ein neuer Paul Volcker kommt,

00:18:18: der damals die Inflation

00:18:20: mit einer rigorosen Anti-Inflationspolitik,

00:18:25: also restriktiven Geldpolitik, in den USA gebrochen hat.

00:18:30: Du hast den Namen genannt Paul Volcker, ein legendärer

00:18:35: Chef des Federal Reserve Systems, der amerikanischen Zentralbank.

00:18:41: Ende der Siebzigerjahre wurde er eingesetzt

00:18:45: und hat dann mit einer harschen

00:18:49: restriktiven Geldpolitik

00:18:52: der Inflation den Garaus gemacht.

00:18:55: Nebeneffekt war, dass die Zinsen, beziehungsweise Haupteffekt natürlich,

00:19:01: war, dass die Zinsen bis zu 20% in die Höhe schnellten.

00:19:05: Und die Nebeneffekte, du hast es bereits angetönt,

00:19:08: waren nicht nur für die amerikanische Gesellschaft sehr einschneidend.

00:19:12: Eine scharfe Rezession war die Folge, wahrscheinlich auch

00:19:17: die Abwahl des damaligen Präsidenten Carter war die Folge.

00:19:20: Aber auch für die lateinamerikanischen Länder hatte

00:19:24: das dramatische Folgen, die in Schuldenkrisen hinein rutschten.

00:19:31: Wenn man sich dieses Szenario beziehungsweise dieses

00:19:35: Beispiel aus der Geschichte anschaut,

00:19:37: dann stellt sich die Frage: Wenn du sagst, es braucht einen neuen Paul Volcker,

00:19:44: haben wir die Kraft,

00:19:47: eine solche Person einzusetzen, im Wissen, dass die

00:19:53: Nebeneffekte einer solchen Politik durchaus dramatisch sein können?

00:19:59: Ja, das ist eben die grosse Frage.

00:20:00: Paul Volcker war ein sehr mutiger Mann,

00:20:05: nur in Parenthese dazu.

00:20:09: Es ist vielleicht aus schweizerischer Sicht interessant, dass

00:20:13: Paul Volcker das in den frühen 1980er Jahren gemacht hat.

00:20:18: Es ist vielleicht aus schweizerischer Perspektive

00:20:20: interessant, dass die Schweizerische Nationalbank

00:20:24: und auch die Deutsche Bundesbank damals,

00:20:26: zehn Jahre vorher, im Jahrzehnt vorher den gleichen Mut gehabt haben.

00:20:31: Sie waren eigentlich

00:20:33: Pioniere in dieser Sache.

00:20:36: Aber das nur nebenbei.

00:20:38: Das Dilemma, von dem du eben gesprochen hast, das existiert natürlich.

00:20:44: Das ist ja genau der Grund, warum ich sage: Ich habe grosse Skepsis darüber,

00:20:48: dass die Schritte gegen die Inflation, die man am Anfang vielleicht mutig

00:20:53: ankündigt, jetzt zum Beispiel in den USA, dass die dann wirklich so

00:20:58: problemlos durchgezogen werden.

00:21:00: Es wird negative Auswirkungen geben, es wird nicht anders gehen.

00:21:06: Zunächst mal

00:21:08: in unseren eigenen

00:21:09: Volkswirtschaften, in den USA und in Europa.

00:21:14: Die Vermögenspreise werden fallen,

00:21:16: wenn die Zinsen steigen: Die Immobilienpreise, die Aktienpreise.

00:21:20: Das kann bis zu grossen Verwerfungen an den Finanzmärkten führen.

00:21:27: Und dann kommen dazu die Probleme mit den Entwicklungsländern,

00:21:30: die du genannt hast, oder Schwellenländern,

00:21:33: die können leicht in eine Schieflage geraten in dieser Situation.

00:21:37: Und das kann wieder zu internationalen Turbulenzen

00:21:42: an den Finanzmärkten führen.

00:21:45: Das alles

00:21:48: sind Gründe dafür,

00:21:49: warum es dann sehr leicht sein wird

00:21:54: für die Zentralbanken zu sagen:

00:21:57: Wir dürfen jetzt nicht übertreiben, wir dürfen nicht die ganze

00:22:01: Weltwirtschaft kaputtmachen mit dieser Anti-Inflationspolitik.

00:22:05: Wir müssen da wieder etwas zurückgehen.

00:22:08: Aber das Problem wird damit natürlich bestehen bleiben.

00:22:14: Es ist bei der Inflation so:

00:22:17: Am besten ist es, wenn man rechtzeitig agiert.

00:22:20: Man sollte eigentlich schon vorausschauend agieren,

00:22:24: um dafür zu sorgen, dass diese Situationen gar nicht erst eintreten.

00:22:29: Aus diesem Grund habe ich auch schon während Jahren

00:22:32: die expansive Geldpolitik der Zentralbanken kritisiert.

00:22:37: Ich habe nie gesagt,

00:22:39: dass dies unmittelbar zu Inflation führen wird,

00:22:42: aber ich habe davor gewarnt, dass sie immense Risiken

00:22:45: für die Zukunft schafft, die wir später einmal bereuen werden.

00:22:50: In der Krise war diese expansive, diese super expansive Politik,

00:22:55: welche die Zentralbanken gemacht haben, sinnvoll, richtig.

00:23:00: Aber sie ist nachher viel zu lange weiter geführt worden.

00:23:04: Du hast

00:23:05: die Siebzigerjahre erwähnt, die Siebzigerjahre in Deutschland

00:23:11: und in der Schweiz waren schwierige Jahre,

00:23:17: geldpolitisch schwierige Jahre.

00:23:20: Auch mit dem Wechsel des Regimes von fixen Wechselkursen zu flexiblen

00:23:25: Wechselkursen und zwei legendäre Namen,

00:23:30: die damals am Ruder waren. Einerseits Fritz Leutwiler

00:23:36: und andererseits die Herren Klasen und Emminger,

00:23:40: die so etwas wie Kultstatus bei gewissen

00:23:44: Ökonomen zu dieser Zeit erlangten.

00:23:47: Würdest du meinen, man könnte sagen,

00:23:50: Paul Volcker hat profitiert von ihnen als role model?

00:23:56: Ja, ich glaube indirekt schon.

00:23:58: Man hat damals gesehen, dass eine strikte

00:24:04: Anti-Inflationspolitik wirksam ist.

00:24:07: Das haben die

00:24:11: Schweizerische Nationalbank und die Deutsche Bundesbank

00:24:14: in den 1970er Jahren vorexerziert.

00:24:18: In den 1970er Jahren, also in dieser Zeit, herrschte in den USA

00:24:23: und in vielen anderen Ländern noch die Meinung vor,

00:24:27: dass eine solche Politik mit so ungeheuren

00:24:32: realwirtschaftlichen Schäden verbunden wäre, dass man sie gar nicht

00:24:37: versuchen soll.

00:24:38: Und in diesem Sinn waren

00:24:42: die Beispiele, welche die Schweizerische Nationalbank und die

00:24:47: Deutsche Bundesbank gegeben haben,

00:24:51: schon pionierhaft.

00:24:55: Gut, dann wollen wir von den 70er Jahren wieder in die Aktualität eintauchen.

00:25:01: Wie denkst du, dass der kurzfristige Verlauf

00:25:05: der Inflation sich jetzt bewegen wird?

00:25:10: Mit kurzfristig meine ich über die nächsten paar Monate.

00:25:14: Wir haben vor ein paar Tagen gehört, USA 7 Prozent

00:25:18: Inflation im Dezember, Euroraum um 5 Prozent.

00:25:22: Wie wird das jetzt weitergehen aus deiner Sicht?

00:25:27: Zunächst denke ich, wird die Inflation noch etwas weiter steigen.

00:25:32: Dieser Inflationsprozess ist, nach aller Erfahrung, die wir haben,

00:25:36: ein sehr hartnäckiger, ein zähflüssiger Prozess.

00:25:42: Aber im Verlauf

00:25:43: des nächsten Jahres oder schon im Verlauf dieses Jahres,

00:25:47: oder dann im Verlauf des nächsten Jahres, wird die Inflation wieder zurückgehen.

00:25:52: Das sehe ich auch so.

00:25:54: Zunächst jedenfalls.

00:25:57: Es gibt natürlich Basiseffekte.

00:26:01: Damit meinen wir einfach, dass die Inflation jetzt, gegenüber dem

00:26:06: Vorjahr, also zwölf Monate vorher,

00:26:09: jetzt so hoch ist, liegt zum Teil daran, weil sie damals so niedrig war.

00:26:14: Das meinen wir mit Basiseffekte.

00:26:16: Es gibt ein Auslaufen temporärer Einflüsse.

00:26:21: Ausser die Inflation wird vorerst

00:26:23: schon einmal wieder etwas zurückkommen.

00:26:27: Aber das heisst nicht, dass dann einfach alles wieder sein wird wie vorher.

00:26:33: Auch dann ist eine Normalisierung der Geldpolitik dringend.

00:26:38: Nehmen wir mal an, die Inflation fällt

00:26:41: in einem Jahr wieder zurück auf 2 Prozent.

00:26:45: Das ist eher unwahrscheinlich, dass das so ausgeht, glaube ich.

00:26:51: Aber nehmen wir es einfach mal an,

00:26:53: dann wären wir eigentlich beim angestrebten Ziel.

00:26:57: Beim angestrebten Inflationsziel der Zentralbank oder meistens jedenfalls.

00:27:02: Die dazu passende Geldpolitik, das wäre dann eine neutrale Geldpolitik,

00:27:07: eine, die weder expansive noch restriktive Impulse setzt.

00:27:14: Aber die aktuelle Geldpolitik, die Geldpolitik, die wir heute noch haben,

00:27:18: - ganz besonders in der Eurozone - das ist immer noch die Krisenpolitik,

00:27:23: die ursprünglich als Antwort auf drohende Deflationsgefahren

00:27:28: und eine angeblich viel zu niedrige Inflation eingeführt wurde.

00:27:33: Und die passt einfach nicht mehr zur heutigen Situation,

00:27:37: selbst wenn die Inflation wieder zurückgehen wird.

00:27:41: Für mich liegt eine grosse Gefahr darin,

00:27:45: dass, eine Sicht, die heute weitverbreitet ist,

00:27:50: auch bei auch bei vielen Ökonomen und Zentralbankern

00:27:55: meines Erachtens einfach falsch ist.

00:27:56: Nämlich die Sicht, dass man

00:27:58: den gegenwärtigen Kurs der Geldpolitik jederzeit und problemlos

00:28:02: korrigieren könne,

00:28:03: wenn das notwendig wird, also wenn die Inflation aus dem Ruder läuft.

00:28:09: Das mag theoretisch grundsätzlich möglich sein, aber polit-ökonomisch

00:28:14: ist das nicht möglich, aus den Gründen, die ich vorher genannt habe.

00:28:20: Das ist für mich ein Kernproblem dieser Geldpolitik, die die Zentralbanken

00:28:24: in den letzten zehn Jahren durchgeführt haben.

00:28:26: Dazu kommt, ich habe das ja vorhin schon erwähnt,

00:28:29: die Geldpolitik sollte eigentlich vorausschauend sein.

00:28:34: Sie sollte mit der Inflationsbekämpfung nicht warten,

00:28:38: bis die Inflation effektiv da ist.

00:28:40: Wenn sie das tut, dann ist es schon zu spät.

00:28:43: Nach aller Erfahrung, die wir haben -

00:28:45: aber diese Erfahrung wird von den heutigen Zentralbankern

00:28:50: aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, in den Wind geschlagen.

00:28:56: Dabei wissen wir,

00:28:57: aus Jahrzehnten von Erfahrungen mit Inflation, dass das so ist.

00:29:02: Die Geldpolitik wirkt sich immer erst mit Verzögerung

00:29:05: auf den Inflationsprozess aus.

00:29:10: Darum sollte sie vorausschauend agieren und nicht erst im Nachhinein.

00:29:15: Für die Dynamik, die du hier aufzeigst,

00:29:20: ist etwas entscheidend, nämlich dass es selbstverstärkende Prozesse -

00:29:25: Übertragungeffekte - gibt. Und hierfür hat sich ein

00:29:28: Begriff eingebürgert, die sogenannte Lohn-Preis-Spirale.

00:29:33: Also der Effekt,

00:29:36: dass sich diese Preissteigerungen auch bei den Lohnabschlüssen in höhere Löhne

00:29:42: alimentiert und dass diese dann wiederum zu Preissteigerungen führen.

00:29:46: Siehst du Anzeichen dafür,

00:29:49: dass eine solche Lohn-Preis-Spirale bereits im Gange ist?

00:29:55: In den USA würde ich sagen schon sehr deutlich.

00:29:57: Die Löhne sind in den USA gegenüber dem Vorjahr

00:30:03: um fast 5 Prozent gestiegen.

00:30:07: In Europa

00:30:10: sieht man das bisher weniger.

00:30:12: Aber ich kann mir schlecht vorstellen, dass die Arbeitnehmer in Europa

00:30:16: den inflationsbedingten Kaufkraftverlust, den sie jetzt hinnehmen müssen,

00:30:21: dass sie den einfach akzeptieren würden, werden sie nicht.

00:30:24: Sie werden dafür Lohnforderungen stellen.

00:30:27: Und sie werden diese im heutigen Arbeitsmarkt auch durchsetzen, glaube ich.

00:30:33: Am Arbeitsmarkt zeichnet sich demografisch bedingt eine sehr deutliche Wende ab.

00:30:39: Weltweit.

00:30:41: Inklusive China.

00:30:43: Die Zeit eines international

00:30:46: fast unlimitierten Arbeitskräfteangebot, auf das man dank Globalisierung

00:30:52: und Digitalisierung von irgendwo auf der Welt zugreifen kann,

00:30:56: die Zeit ist vorbei.

00:31:00: Die Unternehmungen werden dann auch mit Preiserhöhungen reagieren.

00:31:06: Und gemäss Umfrage des ifo-Instituts in Deutschland planen

00:31:12: sehr viele deutsche Unternehmungen heute kräftige Preiserhöhungen

00:31:16: und sie werden die auch durchführen, denke ich.

00:31:19: Also das Problem

00:31:22: der Lohn-Preis-Spirale, das ist schon sehr akut.

00:31:28: Und wenn ich das noch beifügen kann:

00:31:32: Die immer noch sehr expansive Fiskalpolitik

00:31:37: sowohl in den USA, wie in Europa, die wird das ihre dazu beitragen,

00:31:41: dass eben diese Spirale in Gang kommt und bleibt.

00:31:46: Noch ein Punkt vielleicht, der mir auch noch wichtig ist

00:31:49: in diesem Zusammenhang:

00:31:51: Wenn die USA, wie das jetzt den Anschein macht,

00:31:57: mit einer Straffung der Geldpolitik vorangeht

00:32:01: und die EZB weiter schläft, nichts tut,

00:32:05: dann wird die Eurozone über kurz oder lang ein Problem mit dem Wechselkurs kriegen.

00:32:10: Dann wird der Dollar erstarken gegenüber dem Euro.

00:32:15: Und umgekehrt gesagt: Der Euro wird

00:32:19: sich abschwächen.

00:32:21: Das wird die Importpreise erhöhen.

00:32:23: Das wird zu einer importierten Inflation führen.

00:32:27: Ich glaube, das alles ziehen jene Zentralbanker und andere Beobachter,

00:32:32: die jetzt einfach davon ausgehen, dass sich die Inflation im Moment nur temporär

00:32:36: erhöht, nachher wieder zurückgehen wird, nicht in Betracht.

00:32:39: Es wird, auch wenn die Inflation, wie ich gesagt habe,

00:32:43: anfänglich wieder zurückfällt,

00:32:45: es wird nicht einfach alles so sein wie vorher.

00:32:50: Ja, jetzt könnte man sich natürlich fragen: Okay,

00:32:52: es wird vielleicht etwas Inflation geben, aber wir haben ja den Arbeitsmarkt

00:32:58: angesprochen, der quasi die andere Seite der Medaille ist, dass der Arbeitsmarkt

00:33:04: vielleicht dann nicht nur durch die Lohnabschlüsse,

00:33:06: sondern auch sonst in guter Verfassung ist.

00:33:09: Es gibt dieses bon mot, das wir in den Siebzigerjahren dem damaligen deutschen

00:33:15: Bundeskanzler Helmut Schmidt, dem Kanzler, der ewig mit der Zigarette

00:33:21: zu sehen war, zuschreiben.

00:33:23: Er hat gesagt: Mir sind 5 Prozent Inflation

00:33:27: lieber als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.

00:33:31: Dahinter steckt ein

00:33:32: Denken, wie es damals üblich war im sogenannten Phillips-Kurven-Zusammenhang.

00:33:37: Also man kann wählen: Ich kann Inflation haben,

00:33:42: dann habe ich weniger Arbeitslosigkeit.

00:33:45: Wenn mir die Arbeitslosigkeit nicht so wichtig ist wie die Inflation,

00:33:49: dann wähle ich halt lieber weniger Inflation.

00:33:52: Dafür nehme ich ein bisschen mehr Arbeitslosigkeit in Kauf.

00:33:56: Man könnte also sagen: Na ja, wieso sollten wir diesen

00:33:59: Preis der erhöhten Inflation nicht einfach in Kauf nehmen?

00:34:03: Dann haben wir wenigstens einen funktionierenden Arbeitsmarkt.

00:34:06: Für den gesellschaftlichen Zusammenhang

00:34:08: ist der Arbeitsmarkt mindestens so zentral wie die Inflationsrate.

00:34:14: Helmut Schmidt war ein grosser Mann.

00:34:17: Er hat mich immer sehr beeindruckt.

00:34:19: Aber in diesem Punkt lag er vollkommen falsch.

00:34:23: Er hat ja übrigens auch

00:34:25: am Ende dann beides gekriegt, nicht?

00:34:27: Er hat dann

00:34:29: mehr Inflation, aber trotzdem auch mehr Arbeitslose gekriegt.

00:34:33: Also diese Politik, die hat nicht funktioniert.

00:34:36: Und das war auch die Erfahrung in den USA,

00:34:39: überall wo sie versucht worden ist.

00:34:43: Das war einer der grossen Irrtümer

00:34:46: der 1960er, 1970er Jahre, dass man glaubte, dass man mit mehr Inflation

00:34:52: sich eine geringere Arbeitslosigkeit erkaufen kann.

00:34:57: Ganz kurzfristig geht das schon, aber eben nur kurzfristig.

00:35:02: Auf die Dauer hat man dann einfach beides.

00:35:05: Auf die Dauer wirkt es nicht.

00:35:06: Es ist darum eine schlechte Politik und wir sollten die Erfahrungen

00:35:11: aus den 1970er Jahren

00:35:14: wirklich beherzigen und nicht

00:35:17: heute versuchen den gleichen Fehler wieder zu machen.

00:35:20: Die 1970er Jahre hast du sehr genau studiert

00:35:26: und du hast dich ja vor kurzem auch dazu in der Neuen Zürcher Zeitung

00:35:30: vernehmen lassen.

00:35:32: Die 1970er Jahre haben uns noch ein weiteres Phänomen beschert,

00:35:36: nämlich das Phänomen der Stagflation, also dieser üblen Kombination

00:35:41: aus stagnierender Wirtschaft und damit auch einer persistenten

00:35:46: Arbeitslosigkeit und gleichzeitig trotzdem Inflation.

00:35:51: Es gibt Stimmen heute,

00:35:52: die dieses Szenario,

00:35:54: das Stagflationsszenario, wieder als ein Szenario

00:35:59: sehen, das sehr wahrscheinlich für die Zukunft sein könnte.

00:36:02: Wie siehst du das?

00:36:04: Haben wir bald wieder Stagflation-Zustände?

00:36:08: Das Phänomen, das wir damals hatten,

00:36:12: tritt heute schon in einer gewissen Form ähnlich wieder auf.

00:36:16: Aber man muss vielleicht die Dimensionen im Auge behalten.

00:36:20: In den 1970er Jahren hatten wir eine sehr starke Steigerung

00:36:24: der Öl und Energiepreise.

00:36:27: Das war ja die Zeit der sogenannten Erdöl-Schocks.

00:36:31: Ein erster 1973, dann 1979 ein zweiter.

00:36:37: Das war ein stark negativer Angebotsschock,

00:36:41: der gleichzeitig die Inflation antrieb und die Realwirtschaft geschwächt hat.

00:36:47: Das ist das, was wir eigentlich mit diesem Stagflationsphänomen meinen.

00:36:52: Und in einem gewissen Sinn haben wir das heute auch.

00:36:56: Aber -

00:36:58: trotzdem -

00:37:01: die Ölpreis-Erhöhung, die wir in den 1970er Jahren hatten,

00:37:04: die war um ein Vielfaches grösser als dass, was wir heute sehen.

00:37:09: Das war damals der Erdölschock der 1970er Jahre.

00:37:14: Das war ein epochaler Einschnitt, der die Industriestaaten erschüttert hat

00:37:20: und sie gezwungen hat, ihre Wirtschaftsstrukturen völlig anzupassen

00:37:25: an einen viel höheren Öl- und Energiepreis.

00:37:30: Was wir heute bei den Öl- und Energiepreisen sehen,

00:37:34: das ist eher im Vergleich wieder ein Anstieg auf Niveaus,

00:37:38: wie wir sie nach - einem vorübergehenden Rückgang -

00:37:43: ein Anstieg auf Niveaus, wie wir sie früher schon einmal hatten.

00:37:47: Es kann natürlich schon sein,

00:37:51: dass der Wandel in der Klimapolitik,

00:37:55: der weltweit vorgesehen ist, dass das so zu einem Trend

00:37:58: höherer Energiepreise führen wird, dass sich dann also

00:38:03: diese Art von Schock wiederholt. Dass der immer wieder eintreten wird,

00:38:07: das stimmt aber trotzdem.

00:38:10: Das zentrale Problem damals und auch heute ist,

00:38:16: dass man zuvor während vielen Jahren

00:38:20: eine viel zu expansive Geldpolitik gemacht hat, auch in den Siebzigerjahren.

00:38:25: Die grosse Inflation der 1970er und frühen 1980er Jahre,

00:38:32: die hat nicht mit den Ölschocks der 1970er Jahre begonnen.

00:38:37: Die hatte ihren Ursprung im Jahrzehnt zuvor, in den 1960er Jahren.

00:38:44: Und zwar in den USA,

00:38:45: weil das amerikanische Federal Reserve, also die amerikanische Zentralbank,

00:38:51: dort in den 1960er Jahren begann,

00:38:55: eine viel zu expansive Geldpolitik zu betreiben, und zwar weil der Staat

00:39:00: sehr grosse Finanzbedürfnisse hatte. Einerseits wegen des Vietnamkriegs,

00:39:05: andererseits aber auch wegen der grossen Sozialprogramme

00:39:09: der damaligen amerikanischen Regierung unter Präsident Johnson.

00:39:15: Und das hat dazu geführt, dass ein enormer

00:39:19: Druck auf das Federal Reserve ausgeübt wurde, die Zinsen niedrig zu halten.

00:39:24: Das hat das Federal Reserve schrittweise dazu geführt,

00:39:28: über viele Jahre eine viel zu expansive Geldpolitik zu betreiben.

00:39:32: Und die ist dann einfach durch die Ölschocks der 70er Jahre

00:39:36: noch so richtig befeuert worden.

00:39:39: Das ist interessant.

00:39:40: Du sagst

00:39:41: schaut nicht so sehr auf die Veränderungen der relativen Preise -

00:39:46: seien sie auf den Rohstoffmärkten oder woanders -

00:39:50: schaut auf die monetäre Verfassung.

00:39:53: Das erinnert mich so ein bisschen an das Credo, das uns

00:39:57: Nobelpreisträger Milton Friedman ins Stammbuch geschrieben hat:

00:40:02: Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.

00:40:08: Lag und liegt Milton Friedman richtig?

00:40:11: Ja, Friedman hatte recht.

00:40:13: Dieser Punkt wird häufig missverstanden, glaube ich.

00:40:17: Es hat niemand je gesagt,

00:40:19: sicher nicht Friedman, dass eine Ausweitung des Geldmengenwachstum

00:40:23: automatisch und sofort zu Inflation führt.

00:40:28: Aber sie ist die Bedingung dafür,

00:40:31: dass Inflation entstehen kann.

00:40:35: Und ein dauerhafter Inflationsprozess, der kann nur am Leben bleiben,

00:40:40: wenn die Geldpolitik

00:40:42: solche Bedingungen geschaffen hat und wenn sie sich nährt und weiter führt.

00:40:48: Das hat Friedman gemeint und in meinem

00:40:51: Urteil hatte er völlig recht.

00:40:55: Eine Frage, die sich da dem geneigten Beobachter

00:40:59: immer wieder stellt, ist: Die Zentralbanken reden aktuell immer von 2 Prozent.

00:41:04: Diese ominösen 2-Prozent-Ziele, wie erklären sich die eigentlich?

00:41:10: Ich meine Preisstabilität,

00:41:12: und das steht in praktisch allen

00:41:16: Zielvereinbarungen, die mit

00:41:19: den Zentralbanken geschlossen werden:

00:41:22: Da stellt man sich nicht 2 Prozent vor?

00:41:26: Wie erklärt sich das?

00:41:27: Ja, das ist eine gute Frage.

00:41:29: In der Tat,

00:41:31: es gibt ein Argument, das als Rechtfertigung dafür taugt,

00:41:36: dass Preisstabilität mit einem

00:41:40: Inflationsziel grösser als Null identifiziert werden kann.

00:41:44: Das ist das sogenannte Messfehler-Argument.

00:41:48: Die gemessene Inflation,

00:41:51: die übertrifft aufgrund von Messproblemen bei der Qualitätssteigerung von Gütern

00:41:59: die effektive Inflation, die wahre Inflation.

00:42:03: Geschätzt wird dieser Messfehler in der Regel auf etwa ein halbes bis 1 Prozent.

00:42:08: Es geht darum, dass wir

00:42:11: Qualitätssteigerung bei Gütern

00:42:15: zum Teil

00:42:18: einfach als Preissteigerungen empfinden. Qualitätssteigerungen,

00:42:22: die führen ja dann in der Regel schon zu höheren Preisen,

00:42:24: aber wir kriegen ja auch mehr dafür. Aber sie werden statistisch

00:42:28: zum Teil einfach als Preissteigerungen erfasst.

00:42:32: Also das ist die Natur dieses Messfehlers, von dem hier gesprochen wird.

00:42:37: Jetzt nehmen wir mal an, es gibt diesen Messfehler.

00:42:40: Dass denken auf jeden Fall viele

00:42:43: Ökonomen, es ist eine These, die von

00:42:46: sehr vielen Ökonomen unterschiedlichster Prägung akzeptiert wird.

00:42:50: Nehmen wir mal an, es gibt diesen Fehler und da nehmen wir an,

00:42:56: - leicht aufgerundet - dieser Messfehler da betrage 1 Prozent.

00:43:00: Das heisst dann eine gemessene Inflation von 1 Prozent.

00:43:05: Die würde dann echte Preisstabilität widerspiegeln.

00:43:11: Und jetzt legen wir eine Kontrollmarge von plus minus ein Prozent darum herum.

00:43:16: Dann ergibt das einen Toleranzbereich oder

00:43:19: eine comfort zone von 0 bis 2 Prozent für die Inflation,

00:43:25: die wir mit Preisstabilität identifizieren können.

00:43:30: So habe ich die Definition der Preisstabilität,

00:43:33: welche die SNB verwendet, immer verstanden und sie macht für mich so Sinn.

00:43:40: So war im übrigen auch

00:43:44: das Inflationsziel der EZB ursprünglich gemeint.

00:43:48: In den ersten zehn Jahren der EZB

00:43:53: hat man dieses Ziel

00:43:56: Preisstabilität auch so definiert wie in der Schweiz.

00:44:00: Erst später kam es dann dazu, dass man plötzlich sagte,

00:44:05: es soll leicht unter, aber fast 2 Prozent sein,

00:44:10: aber dann noch etwas später exakt 2 Prozent.

00:44:14: Und neuerdings darf es sogar darüber liegen.

00:44:17: Es muss nur im langfristigen Durchschnitt genau 2 Prozent sein, wobei

00:44:21: niemand weiss, wie man das dann wirklich

00:44:26: erzwingen will, dass dieser langfristige Durchschnitt zustande kommt.

00:44:30: Also diese Anpassungen in der Definition der Preisstabilität,

00:44:35: die sind meines Erachtens schon sehr opportunistisch.

00:44:45: Das war ja der Sinn deiner Frage.

00:44:47: Ich teile wirklich die Meinung,

00:44:50: wir können Preisstabilität nicht einfach beliebig definieren.

00:44:54: Wenn wir die Inflation auf 2 Prozent stabilisieren wollen

00:44:59: oder manche sagen auch 3 oder 4 Prozent

00:45:03: - der frühere Chefökonom des

00:45:06: Währungsfonds

00:45:08: Blanchard hat einmal 4 Prozent vorgeschlagen -

00:45:11: ja, dann können wir nicht mehr von Preisstabilität sprechen.

00:45:15: Von Inflationsstabilität können wir dann sprechen, aber nicht Preisstabilität.

00:45:20: Und das ist nicht, was der Gesetzgeber vorsieht,

00:45:24: weder bei uns, noch in Europa noch in den USA.

00:45:28: Er spricht von Preisstabilität, nicht von Inflationsstabilität.

00:45:34: Ja, vielen Dank für diese Klärungen,

00:45:36: also trotz präziser Angaben glaube ich, ist dein Votum

00:45:43: so zu verstehen, dass die Dinge oft

00:45:48: unpräzise interpretiert werden.

00:45:51: Was müssten jetzt die Zentralbanken tun?

00:45:54: Am aktuellen Rand übertreffen sie auf jeden Fall

00:45:58: - wenn wir den Federal Reserve anschauen, oder eben

00:46:02: den europäischen Währungsraum anschauen - dann übertreffen sie

00:46:04: auf jeden Fall die 2 Prozent Marge relativ deutlich.

00:46:09: Was müssten die Zentralbanken denn jetzt genau tun?

00:46:14: Ja, sie müssten ihre Geldpolitik endlich normalisieren.

00:46:18: Ich habe ja vorhin schon gesagt, sie müssen das selbst dann tun,

00:46:21: wenn die Inflation im nächsten Jahr wieder auf ihren Wunsch

00:46:25: oder Zielwert von 2 Prozent zurückfallen sollte.

00:46:30: Denn damit wäre eine neutrale Geldpolitik vereinbar.

00:46:34: Nicht mehr die super

00:46:36: expansive Krisenpolitik, die bis jetzt betrieben wird.

00:46:40: Und das wird natürlich schwierig werden aus den Gründen, die ich vorher

00:46:44: erläutert habe.

00:46:45: Angesichts der hohen Verschuldung von Staat- und Privatsektor.

00:46:49: Die Zentralbanken müssen dabei natürlich

00:46:52: genau wegen dieser hohen Verschuldung sehr sachte vorgehen.

00:46:57: Sie müssen schon aufpassen, dass sie die

00:47:02: Volkswirtschaft und die Finanzmärkte nicht vollkommen destabilisieren.

00:47:06: Die Gefahr besteht durchaus.

00:47:08: Also sie müssen hier sachte und schrittweise vorgehen,

00:47:12: aber das ändert nichts daran, dass sie endlich ihre Krisenpolitik beenden müssen.

00:47:17: Denn je länger sie damit warten, desto schwieriger wird es letztlich,

00:47:21: aus dieser Politik einmal wieder auszusteigen.

00:47:25: Was heisst das konkret?

00:47:28: Die Zentralbanken müssten zunächst einmal

00:47:31: aus ihren Wertpapier-Kaufprogrammen aussteigen.

00:47:35: Sie haben bis jetzt jeden Monat, sowohl in den USA wie auch in Europa,

00:47:41: massive Beträge an Wertpapieren aus dem Markt

00:47:45: genommen, gekauft und dafür ein neues Zentralbankgeld geschaffen.

00:47:51: Sie müssen damit endlich mal aufhören.

00:47:53: Das ist dann immer noch eigentlich keine restriktive Politik, einfach eine

00:47:58: etwas weniger expansive Politik.

00:48:01: Dann müssen sie

00:48:03: beginnen mit den Zinskorrekturen.

00:48:06: Wie gesagt, sie müssen

00:48:09: dabei sehr vorsichtig vorgehen, weil sie sonst viele Schuldner

00:48:14: in Schieflage bringen können, und die Finanzmärkte,

00:48:18: und die Volkswirtschaft überhaupt, destabilisieren können.

00:48:21: Aber sie müssen, sie sollten es tun, sie müssen es tun.

00:48:26: Eine Rückführung der Zentralbankbilanzen

00:48:31: auf ein etwas kleineres Niveau, das wäre natürlich auch wünschenswert.

00:48:35: Es wird aber auf absehbare Zeit wahrscheinlich schwierig sein.

00:48:39: Die Zentralbanken sollten insbesondere auch einmal damit

00:48:43: aufhören, die Inflationsgefahren kleinzureden.

00:48:47: Sie sollten alles dafür tun,

00:48:51: dass die Inflationserwartungen auf niedrigem Niveau stabilisiert bleiben.

00:48:55: Bis jetzt haben sie das Glück gehabt, dass das einigermassen der Fall gewesen ist.

00:49:00: Aber ob das jetzt bei dem starken Anstieg der Inflationsraten,

00:49:06: die wir jetzt in der jüngsten Zeit erlebt haben,

00:49:08: noch weiter so sein wird, das ist nun wirklich alles andere als klar.

00:49:12: Sie müssen hier sehr vorsichtig sein. Sie sollten insbesondere auch aufhören

00:49:19: mit diesem Gerede über eine angeblich viel zu niedrige Inflation.

00:49:24: Das haben wir ja jahrelang immer gehört.

00:49:27: Und das war meines Erachtens einer der grössten Fehler,

00:49:31: den die Zentralbanken hier betrieben haben.

00:49:36: Wenn die Inflationsrate nur schon ein halbes Prozent unter dem Zielwert lag,

00:49:41: haben sie darüber gejammert, dass die Inflation viel zu niedrig sei.

00:49:44: Dabei war das effektiv überhaupt kein Problem.

00:49:48: In der Schweiz hatten wir ja

00:49:51: Inflationsraten, die nicht nur unter 2 Prozent waren,

00:49:55: sondern sogar negativ waren über gewisse Zeiträume hinweg.

00:49:59: Was ist passiert? Nichts.

00:50:02: Du hast jetzt die monetären, die geldpolitischen, Instrumente erwähnt,

00:50:07: die aus deiner Sicht jetzt zu ergreifen wären.

00:50:12: Es gibt ja noch einen anderen Kanal,

00:50:15: über den die Inflation getrieben, alimentiert, werden kann

00:50:19: und das ist der fiskalische Kanal.

00:50:21: Es ist ein bisschen ein komplizierter Kanal,

00:50:23: aber wenn wir uns die

00:50:25: Verschuldenstände anschauen - und die sind durchaus bemerkenswert

00:50:29: für Friedenszeiten - USA 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Verschuldung

00:50:35: und blicken wir noch mal zurück in die 1970er Jahre, da waren es 25 Prozent.

00:50:41: Könnte man argumentieren, dass auch wenn die Zentralbanken diese Instrumente

00:50:47: so nutzen, wie du sagst,

00:50:48: so sachte wie möglich einsetzen,

00:50:53: droht nicht über diese fiskalische Seite

00:50:57: auch ein Inflationspotenzial sich zu entladen?

00:51:01: Eines, dass die Zentralbanken schwer im Griff haben?

00:51:04: Doch schon, die Geldpolitik und die Fiskalpolitik, die hängen ja auch zusammen.

00:51:11: Was ist denn der Hauptgrund, warum die Zentralbanken

00:51:16: die Zentralbankgeldmenge so stark haben anwachsen lassen?

00:51:21: Es liegt eben darin, dass die Staaten

00:51:24: sich so stark verschuldet haben und dass die Zentralbanken

00:51:29: - in Europa ist das besonders deutlich - dass sie die Zinsbedingungen

00:51:34: für die Ausgeber dieser Schulden

00:51:41: irgendwie tolerabel halten wollten.

00:51:44: Sie wollten verhindern, dass diese Zinsen ansteigen

00:51:49: und die Staaten damit in eine fiskalische Schieflage geraten.

00:51:54: Und wenn sich nun die Erwartung durchsetzen sollte,

00:51:58: dass die Staatsschuld am Ende gar nie zurückbezahlt wird,

00:52:03: weil sie so gross ist

00:52:06: - und die Gefahr, die ist heute natürlich schon vorhanden -

00:52:10: wenn sich diese Erwartung durchsetzt, dass die

00:52:13: Staatsschulden stattdessen einfach von den Zentralbanken übernommen werden

00:52:19: und irgendwie monetisiert und letztlich weg-inflationiert werden,

00:52:24: dann wird es sehr gefährlich.

00:52:26: Dann sind wir bei der sogenannten fiskalischen Dominanz.

00:52:30: Das heisst bei einer Situation,

00:52:32: wo die Geldpolitik letztlich allein getrieben wird

00:52:35: durch die fiskalischen Bedürfnisse des Staates.

00:52:40: Fiskalische Dominanz ein Gespenst, das umgeht im Moment

00:52:46: und für die Zentralbank natürlich eine unangenehme Situation.

00:52:52: Wie beurteilst du ganz generell die Unabhängigkeit der Zentralbank?

00:52:57: Sie ist natürlich heute in jedem vernünftigen Land

00:53:01: vom Grundgesetz, von der Verfassung her, verbürgt.

00:53:05: Sie wird immer wieder von den Zentralbanken angerufen.

00:53:11: Aber fiskalische Dominanz, du hast es erwähnt, würde ja eigentlich

00:53:16: dafür sprechen, dass diese Unabhängigkeit gar nicht mehr derart gross ist.

00:53:23: Ja, die Unabhängigkeit der Zentralbank ist heute bedroht.

00:53:28: Das denke ich schon.

00:53:32: Du hast das erwähnt:

00:53:35: Sie ist auf dem Papier in den meisten Ländern geben.

00:53:38: Die Verfassungen oder die Gesetzgebung

00:53:42: gewährt den Zentralbanken heute fast überall

00:53:46: Unabhängigkeit. Dies war nicht immer so in der Vergangenheit.

00:53:49: Aber das ist heute so, weil man eigentlich in den 1990er

00:53:53: und 2000er Jahren gelernt hat, dass das etwas Wichtiges ist.

00:53:57: Aber heute ist diese Unabhängigkeit schon bedroht

00:54:00: und das hat ganz wesentlich

00:54:03: mit den fiskalischen Expansionsbedürfnissen

00:54:08: der Staaten und der damit verbundenen Verschuldung zu tun.

00:54:12: Das führt zur Gefahr, dass das eben

00:54:17: eine Unabhängigkeit ist letztlich, die dann nur noch auf dem Papier steht.

00:54:21: Verfassungen sind wichtig.

00:54:22: Ich bin persönlich einer, der wirklich findet,

00:54:27: es ist wichtig und relevant, was in einer Verfassung steht.

00:54:32: Aber wir wissen natürlich - es wird selbst bei uns in der Schweiz,

00:54:36: wo das wahrscheinlich meistens so ist, dass die Verfassung wirklich etwas zählt -

00:54:42: selbst bei uns ist nicht alles automatisch

00:54:45: realisiert, was in der Verfassung steht.

00:54:49: Und ich glaube trotzdem, dass in der Schweiz

00:54:53: die Unabhängigkeit der Nationalbank nach wie vor sehr stark respektiert wird.

00:55:00: Aber in anderen Ländern ist das weniger so. In Europa

00:55:06: insbesondere habe ich grosse Sorge.

00:55:09: Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank

00:55:14: von den Regierungen, die ist

00:55:18: faktisch sehr

00:55:19: stark eingeschränkt dadurch, dass die Regierungen

00:55:22: der einzelnen Mitgliedsländer, so grosse Schuldbestände ausstehend haben.

00:55:28: Und man weiss, wenn die Zinsen sich erhöhen würden,

00:55:36: dann wird das für diese Staaten zum Problem.

00:55:38: Wenn die Zinsen drastisch steigen, dann wird es diese Staaten

00:55:43: bedrohen, es wird ihre finanzielle Stabilität bedrohen.

00:55:48: Es wird dann natürlich indirekt auch die Stabilität der Bankensysteme bedrohen.

00:55:54: Die halten grosse Bestände an Staatsanleihen,

00:55:58: wenn die Zinsen steigen, dann wird die Marktbewertung dieser Bestände

00:56:02: drastisch reduziert.

00:56:05: Das wird das Eigenkapital der Banken reduzieren,

00:56:10: wird die Banken anfällig machen

00:56:13: und die Stabilität des Bankensystems bedrohen.

00:56:18: Also diese Gefahren,

00:56:22: die schränken natürlich de facto die Unabhängigkeit der

00:56:27: Europäischen Zentralbank, schon ein.

00:56:31: Und auch beim Federal Reserve gibt es diese Gefahr.

00:56:34: Es ist nicht dadurch bedingt, dass die einzelnen Staaten Schulden

00:56:41: ausgeben können, für die dann auf die eine oder andere Weise

00:56:46: die Zentralbank haften müsste.

00:56:50: Aber dort hat die Regierung

00:56:54: Biden ungeheure Ausgabenpläne,

00:56:57: die im Grunde eigentlich nicht recht

00:57:01: finanzierbar sind, ausser durch zusätzliche Verschuldung.

00:57:04: Du hast erwähnt

00:57:06: was die Zentralbanken zurzeit machen müssten, um einen Inflationsprozess,

00:57:13: wenn er dann einmal etwas ausser Kontrolle gerät, tun sollten.

00:57:18: Wir haben auch die Situation besprochen, wenn sie das tun,

00:57:22: dass das durchaus schmerzhaft sein kann, eine Rezession verursachen kann,

00:57:27: vielleicht auch Verschuldungskrise verursachen kann

00:57:31: in Ländern, deren Staatsschulden auf diese Währung ausgestellt sind.

00:57:36: Es scheint so ein bisschen, dass wir uns zwischen Pest und Cholera bewegen müssen.

00:57:41: Ja, das ist schon so,

00:57:43: aber das ist das Ergebnis von Fehlern in der Geldpolitik,

00:57:46: die in der Vergangenheit gemacht worden sind.

00:57:49: Die können wir nicht mehr rückgängig machen.

00:57:51: Es wäre viel besser gewesen, man hätte diese Fehler nicht gemacht.

00:57:55: Aber es liegt jetzt wirklich in der Tat

00:58:00: eine sehr schwierige, heikle Entscheidungssituation vor uns.

00:58:05: Und ich glaube persönlich nicht, dass das einfach alles reibungslos ablaufen wird.

00:58:12: Es gibt zwar

00:58:13: Illusionisten, auch gerade bei den Zentralbanken,

00:58:18: bei gewissen Zentralbanken, die glauben, dass man das alles

00:58:22: problemlos reibungslos wieder auflösen kann.

00:58:26: Ich glaube nicht daran.

00:58:29: Ja, das ist interessant.

00:58:32: Ernst, lass uns noch kurz auf die Schweizer Situation eingehen.

00:58:35: Die Schweiz, du hast es erwähnt, braucht die Inflation nicht so arg zu fürchten.

00:58:42: Sie braucht sie nicht so arg zu fürchten, weil wir mit einer eigenen Währung

00:58:48: die Inflationspotenziale über ein Ansteigen des Frankens

00:58:53: gegenüber den anderen Währungen abdämpfen können.

00:58:57: Ein Nebeneffekt davon ist, dass der Wechselkurs

00:59:01: sich für die Exportwirtschaft besonders ungünstig

00:59:05: entwickelt. Die Nationalbank versucht hier über massive

00:59:12: Wertpapierkäufe diesem entgegenzustemmen.

00:59:17: Ist eigentlich, wenn man die Bilanz der SNB anschaut,

00:59:21: ist die Schweiz zu einem riesigen Staatsfonds geworden?

00:59:27: Ich würde das nicht so sehen.

00:59:32: Ich weiss, dass viele das so sehen, aber ein Staatsfonds hat andere Ziele

00:59:37: und Zwecke als die Währungsreserven der Nationalbank.

00:59:42: Ein Staatsfonds dient der Vermögensbewahrung und der Ertragsoptimierung.

00:59:49: Das ist so beim norwegischen Staatsfonds,

00:59:52: der ja häufig als Beispiel genommen wird.

00:59:57: Dort legt dieser Staatsfonds einfach die Einnahmen,

01:00:01: die das Land aus der Förderung von Erdöl

01:00:05: über die letzten Jahrzehnte erhalten hat, zu Handen zukünftiger Generationen an.

01:00:12: Man hat sehr vernünftigerweise gesagt: Wir wollen dieses Geld nicht einfach

01:00:17: in der Gegenwart verpulvern, wir wollen das zuhanden

01:00:21: der zukünftigen Generationen bewirtschaften.

01:00:25: Und in diesem Sinn eben für eine viel längere Zeit fruchtbar machen.

01:00:30: Das ist sinnvoll.

01:00:32: Und ähnlich ist es beim Staatsfonds von Singapur,

01:00:35: das ist ein sehr autoritär geführter Staat,

01:00:39: der eben einen grossen Teil des Volksvermögens, sozusagen zuhanden

01:00:47: der Bevölkerung, über seine Staatsfonds verwaltet.

01:00:51: Das brauchen wir nicht in der Schweiz.

01:00:53: Aber die Währungsreserven der Nationalbank,

01:00:57: die sind anderer Art, da muss man einen deutlichen Unterschied machen.

01:01:02: Sie sind Ergebnis der geldpolitischen Handlungen der Nationalbank.

01:01:07: Sie sind aus diesen entstanden.

01:01:09: Und die Grösse und

01:01:12: Zusammensetzung der Aktiva einer Zentralbank, das ist eines

01:01:17: der wichtigsten geldpolitischen Instrumente einer Zentralbank.

01:01:21: Das gilt auch für die Schweiz.

01:01:23: Und man darf der SNB dieses Instrument nicht einfach wegnehmen.

01:01:27: Das wäre eine Behinderung ihrer Geldpolitik.

01:01:32: Und in diesem Sinn äusserst ungünstig.

01:01:36: Jetzt würde es natürlich eine Alternative dazu geben,

01:01:39: das wird politisch auch diskutiert, und zwar,

01:01:43: dass man einen Teil oder

01:01:49: irgendwelche Erträge

01:01:50: aus diesen Wertschriften der AHV,

01:01:55: also unserem Altersvorsorgesystem, zukommen lässt.

01:02:01: Ein einfacher Weg um die AHV-Defizite,

01:02:05: die sich abzeichnen, zu decken.

01:02:10: Wäre das eine sinnvolle Alternative?

01:02:13: Bzw wäre das als Kompromiss für dich akzeptabel?

01:02:20: Also ich bin sehr skeptisch gegenüber

01:02:22: diesen Vorschlägen.

01:02:25: Ich würde sie nicht befürworten.

01:02:30: Ich bin generell skeptisch gegenüber

01:02:34: unnötigen Verbindungen

01:02:38: zwischen der Zentralbank, der Geldpolitik einerseits und der Finanzpolitik

01:02:43: des Staates andererseits. Und da gehört die AHV dazu.

01:02:49: Das führt immer irgendwie dazu, dass die Unabhängigkeit der

01:02:53: Nationalbank in Gefahr gerät.

01:02:58: Und das deshalb indirekt auch ihre Geldpolitik beeinträchtigt wird.

01:03:03: Ich würde das aus diesem Grund nicht befürworten, aber ich würde auch aus

01:03:08: finanzpolitischer Sicht das nicht befürworten.

01:03:12: Es ist zwar richtig, die Gewinne

01:03:17: der SNB gehören dem Volk.

01:03:20: Aber diese Gewinne sind nur einmal verfügbar,

01:03:24: man kann sie nur einmal ausgeben.

01:03:26: Und was die SNB an die AHV abführt,

01:03:30: das wird dem Staat anderswo fehlen.

01:03:33: Also insgesamt gewonnen ist damit nichts.

01:03:36: Und die AHV braucht eine nachhaltige, echte Reform,

01:03:41: die nicht einfach auf eine Finanzspritze der Nationalbank beruht.

01:03:46: Also aus diesem Grund würde ich auch aus finanzpolitischer Sicht

01:03:49: diese Verbindung ablehnen.

01:03:53: Vielen Dank für dieses Gespräch.

01:03:56: Es war ein Plädoyer für eine stabilitätsorientierte Geld- und Fiskalpolitik.

01:04:02: Es ist das, was wir aus diesem Gespräch mitnehmen können.

01:04:07: Herzlichen Dank, dass wir dieses Interview mit dir führen durften.

01:04:11: Danke dir!

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